Alle Ausgaben  >  Ausgabe 004  >  Spielbericht: Tall Pines

Spielbericht: Tall Pines

Tim berichtet über seine Erfahrungen mit dem Twin-Peaks-Spiel.

1.252 Wörter, ungefähre Lesedauer 6 Min.

Inhalt

Coverillustration

Tall Pines – Ein surreales Mörder-Mystery-Erzählspiel

Von Tim Rauche

Eine Leiche. Viele Geheimnisse.

Tall Pines ist ein verschlafenes Bergnest, in dem sich ein grauenhaftes Verbrechen zugetragen hat: ein beliebter, junger Erwachsener wurde ermordet – getötet in der Blüte seines Lebens. Es ist an den Spielerinnen zu ergründen, was dies für die Gemeinde bedeutet, welche Geheimnisse in Tall Pines schlummern, wie diese mit dem Toten zusammenhängen und vielleicht sogar, wer für den Mord verantwortlich ist. Doch manches sollte eventuell lieber verborgen bleiben …

Spielkarton von vorn

Spielaufbau

Tall Pines von Self-Critical-Hits ist ein von Twin Peaks inspiriertes, surreales Mörder-Mystery-Erzählspiel mit Kartenmechanik, das von drei bis sechs Personen über drei Akte gespielt wird. Zu Beginn werden von zwölf Protagonistinnen-Karten sechs zufällig gezogen (man kann auch welche auswählen) und in die Mitte des Tisches gelegt. Diese sechs Protagonistinnen sind die zentralen Figuren, mit denen die Spielerinnen später ihre Szenen spielen werden.

Doch zunächst einmal muss das Mordopfer näher definiert werden: Auf jeder Protagonistinnen-Karte steht eine Frage, die die Person in eine Beziehung zu dem Opfer bringt. Reihum beantwortet jede Spielerin eine Frage und gibt der Protagonistin einen Namen sowie eine kurze Beschreibung.

Ein paar beispielhafte Karten von jedem Typus, leichte Spoiler.

Ein paar beispielhafte Karten von jedem Typus, leichte Spoiler.

Alle Informationen zum Mordopfer sollte man auf einem separaten Zettel festhalten, für die Beschreibungen der Protagonistin hat sich bei uns eine Karteikarte pro Person etabliert. Des Weiteren sollte man weitere Karteikarten oder Zettel für weitere neu erschaffene Personen (NSC) oder Orte bereithalten.

Nachdem die Protagonistinnen abgehandelt wurden, einigt man sich gemeinsam auf einen Namen für das Mordopfer. Durch das Beantworten der Fragen hat sich normalerweise bereits ein sehr gutes Bild ergeben, was für eine Person das Opfer war.

Jede Spielerin erhält drei Szenenkarten aus dem Stapel des Aktes, den man spielt, und es wird jeweils eine Akt-Endszenen-Karte gezogen. Man kann im Laufe des Spiels weitere Szenenkarten bekommen. Zusätzlich gibt es eine Geheimniskarte für jede Spielerin, die restlichen kommen zurück in die Box und werden nicht weiter benötigt.

Abschließend werden noch sechs Karten mit stimmungsvollen Bildern, inklusive Nachziehstapel, auf den Tisch gelegt.

Spielablauf

Jede Spielerin spielt eine Szene pro Akt. Dazu wird eine der Szenenkarten auf der Hand ausgewählt, die einen Ort oder eine Situation vorgibt, und spielt sie auf eine Protagonistin, welche die Hauptfigur der Szene ist. Wie in einem Film oder einer Serie beschreibt man, was der Zuschauer sieht, und welche Personen eventuell ebenfalls noch vor Ort sind. Wenn neue Nebenfiguren eingeführt werden, so sollte man diese auch notieren, damit man sie nicht vergisst und bei Bedarf in späteren Szenen wieder auftauchen lassen kann.

Der Clou des Spiels ist, dass die nicht aktiven Spielerinnen einmal während jeder Szene ihre Szenenkarten einsetzen können, um die Szene zu beeinflussen. Aber auch eine der Symbolkarten kann dafür verwendet werden.

Wenn die Szene von der aktiven Spielerin als beendet erklärt wird, überprüft man die Karte der Protagonistin der Szene und schaut, ob eine Bedingung, die auf der Karte steht, erfüllt wurde. Ist das der Fall, dreht man sie um. Auf der Rückseite befindet sich eine neue Bedingung, um sie erneut umdrehen zu können.

Als nächstes guckt man sich alle in dieser Szene gespielten Karten an und schaut, welche Stimmung auf dem Tisch liegen. Es gibt drei verschiedene Stimmungen, die auf den Szenenkarten sowie Protagonistinnen abgebildet sind: resolve, shame, understanding (zu Deutsch: Entschlossenheit, Scham, Verständnis).

Drei Szenenkarten aus Akt 1 mit ihren unterschiedlichen Stimmungen.

Drei Szenenkarten aus Akt 1 mit ihren unterschiedlichen Stimmungen.

Diese findet man auch in verschiedenen Kombinationen auf den Geheimniskarten. Wenn die ausliegenden Stimmungen mit der Geheimniskarte einer der Spielerinnen übereinstimmen, spielt diese eine zusätzliche Szene mit Hilfe von drei Symbolkarten, welche sie sich aus den ausliegenden aussuchen kann. Diese Szene gehört allein der Spielerin und darf nicht von den anderen beeinflusst werden.

Wenn alle ihre Szene gehabt haben, zählt man, welche der Stimmungen im Akt am häufigsten vorkam und spielt eine Akt-Endszene mit entsprechender Stimmung. Die Karte hat dabei ein Auswahlverfahren, das bestimmt, welche Spielerin die Akt-Endszene erzählen darf.

Es gibt noch ein paar weitere Regeln, aber dies ist im Großen und Ganzen der Ablauf des Spiels.

Nach dem Abhandeln der Endkarte von Akt 3 ist das Spiel schließlich vorbei.

Spielerfahrungen

Ich habe Tall Pines bisher zwei Mal gespielt: ein Mal zu viert und ein Mal zu sechst, also der maximalen Anzahl an Spielerinnen. Dabei hat sich die Spieldauer vor allem bei der vollbesetzten Runde sehr in die Länge gezogen und wir mussten feststellen, dass uns sehr schnell die Szenenkarten ausgingen, als wir neue zogen.

Des Weiteren muss man für das Spiel schon sehr gute Englischkenntnisse mitbringen, denn die Texte sind zwar sehr stimmungsvoll, aber teilweise ohne ein gutes Gespür für die Sprache schwer zu verstehen. Dies ist natürlich nicht als echte Kritik zu verstehen, aber etwas, das man unbedingt beim Kauf berücksichtigen sollte, wenn man nicht Muttersprachler ist.

Ein echter Kritikpunkt ist für mich allerdings die Spielanleitung. In der kleinen Box des Spiels befindet sich ein ebenso kleines Faltblatt, dessen Schriftgröße nichts für Leute mit schwachen Augen ist. Ein (kostenloses) Herunterladen der Regeln als PDF ist hier dringend empfohlen, zumal dies ausführlicher in der Beschreibung ist. Auch eine FAQ sucht man auf der Webseite leider vergeblich, wir haben uns z. B. gefragt, ob man die Protagonistinnen in einer Szenen sterben lassen darf oder nicht. Wir haben dann einfach beschlossen, dass es okay ist, wenn es zur Geschichte passt. Vermutlich ist das Handeln im Sinne der Geschichte die beste Einstellung beim Spielen von Tall Pines, wenn sich weitere Fragen ergeben.

Das Erklären des Spiels empfand ich persönlich auch als nicht einfach, wobei ich mich sowieso nicht für einen guten Erklärer halte. Man muss sehr viel Vorarbeit leisten, bevor man anfangen kann. Vieles ergibt sich dann im Laufe der Szenen des ersten Aktes, aber man muss alles einmal erwähnt haben, damit die Spielerinnen es zumindest einmal gehört haben.

Es liest sich, als habe ich viel Kritik, aber wir hatten in beiden Runden viel Spaß. Vor allem zu Beginn, als wir die Fragen der Protagonistinnen beantwortet und dadurch gemeinsam das Opfer gestaltet haben. Die Geschichten entwickelten sich dank der Szenenkarten schnell in eine Mischung aus Crime- und Mystery-Serie, aber sie lassen genug Spielraum zu, sodass sie sich nicht zu sehr ähneln.

Die Anleitung des Spiels. Daneben zum Größenvergleich eine der Spielkarten, die einer gewöhnlichen Pokerkarte gleicht.

Die Anleitung des Spiels. Daneben zum Größenvergleich eine der Spielkarten, die einer gewöhnlichen Pokerkarte gleicht.

Neben dem Grundspiel gibt es noch eine Erweiterung, die Tall Pines neue Protagonisten, Akt-Endszenen und und eine Akte X-ähnliche Stimmung hinzufügen soll. Da ich sie bisher nicht besitze oder gespielt habe, kann ich aber nicht beurteilen, wie gut ihr dies gelingt.

Ich möchte abschließend noch erwähnen, dass mir positiv aufgefallen ist, dass die Autor*innen des Spiels auf das Spielen mit Sicherheitsmechanismen, insbesondere der X-Karte, hinweisen.

Fazit

Ich habe mir zum besseren Transport und um die Karten übersichtlich parat zu haben eine Aufbewahrungs-Box gekauft.

Ich habe mir zum besseren Transport und um die Karten übersichtlich parat zu haben eine Aufbewahrungs-Box gekauft.

Fans von Twin Peaks werden ihre Freude an vielen der Karten haben und sofort an gewisse Szenen der Serie denken. Aber man benötigt wirklich keine Vorkenntnisse zur Serie, um sich durch der Beschreibungen inspirieren zu lassen. Trotz erwähnter Kritikpunkte finde ich, dass Tall Pines ein gelungener Hybrid aus cinematischem Erzähl- und Rollenspiel ist. Es liegt vollständig in der Hand der Spielerinnen, wieviel Rollenspiel sie hineinbringen wollen, wodurch es meiner Meinung nach auch sehr einsteigerfreundlich wird. Wer gerne Fiasko spielt, sollte auch mit Tall Pines sehr viel Spaß haben, aber, wie oben beschrieben, über gute Englischkenntnisse verfügen. Ich jedenfalls bin gespannt, welche dunklen Geheimnisse ich beim nächsten Besuch in Tall Pines aufdecken werde.

Bildnachweis & Mitwirkende

Titelillustration: Tina Trillitzsch, unter Verwendung eines Fotos von Eric Muhr auf Unsplash. Fotos des Spielmaterials: Tim Rauche. Lekotrat und Korrektorat: Tina Trillitzsch und Thorsten Panknin.

comments powered by Disqus
Alle Ausgaben  >  Ausgabe 004  >  Spielbericht: Tall Pines