Alle Ausgaben  >  Ausgabe 004  >  Spielbericht: English Eerie – „Das Biest im Moor“

Spielbericht: English Eerie – „Das Biest im Moor“

Thorsten beschreibt seine Erfahrungen mit dem gruseligen Solo-Schreibrollenspiel von Scott Malthouse (Quill).

3.993 Wörter, ungefähre Lesedauer 19 Min.

Inhalt

Neblige Landschaft mit schemenhafter Person

English Eerie – „Das Biest im Moor“

Von Thorsten

Eigentlich …

… bin ich gar kein so großer Fan von Solospielen. Sie sind, per definitionem, nicht gesellig und fühlen sich für mich oft eher nach einer „Strafarbeit“ an. Wenn mich jedoch ein Thema interessiert und die Regeln dann auch noch recht einfach sind, packt es manchmal auch mich. Wie beim 2017 erschienenen English Eerie von Scott Malthouse von Trollish Delver Games. Falls ihr etwas mehr über Scott wissen möchtet, wir hatten in Ausgabe 002 ein Interview mit ihm.

Worum geht es im Spiel?

English Eerie (zu Deutsch etwa Das unheimliche England) ist ein Solospiel in Form von Tagebucheinträgen. Mit handelsüblichen Spielkarten und beigefügten Szenarien gibt es Spielerinnen und Spielern die Werkzeuge an die Hand, ihre eigene Gruselgeschichte vor dem Hintergrund des ländlichen Englands niederzuschreiben.

Scott beschreibt England in seiner Einleitung zum Spiel zwar als wunderschöne, jedoch auch als verfluchte Landschaft. Inspiration nimmt er aus der Literatur von Autoren wie M.R. James, Arthur Machen und Algernon Blackwood, die sich des Themas schon vor langen Zeiten angenommen haben.

Die Regeln

Ich gebe hier lediglich einen Überblick, bei Interesse könnt ihr das Spiel mit einem Bezahl-was-du-willst-Preis erwerben, auch kostenlos, und selbst genauer reinschauen.

English Eerie wird in Szenen gespielt, jeweils zwei pro Tag. Bestimmte Karten eines normalen Kartenspiels werden zusammengemischt und pro Szene eine der Karten gezogen und interpretiert. Drei der Damen, die einzigen Karten mit Bildern im Spiel, stellen besondere Ereignisse dar, die das Spiel vorantreiben und die Lage für die Hauptfigur immer schwieriger gestalten. Sobald die dritte „Graue Dame“, die letzte Karte im Stapel, gezogen wird, wird das Ende des Spiels eingeleitet. Die Farben der Karten stehen für bestimmte Arten von Ereignissen: Herz beispielsweise dafür, dass eine Nebenfigur verletzt wird oder Karo dafür, dass die Umgebung die Hauptfigur behindert.

Die Hauptfigur wird durch die mit Zahlen versehenen Attribute Entschlossenheit und Tatkraft (im Original Resolve und Spirit) repräsentiert. Entschlossenheit kann auf Wunsch helfen, Hindernisse zu überwinden, indem Punkte ausgegeben und zu einem W10-Wurf hinzuaddiert werden. Das Endergebnis des (modifizierten) Wurfes muss gleich oder höher der Zahl auf der jeweiligen aktuellen Karte liegen, damit das Hindernis überwunden wird. Bei einem Misserfolg reduziert sich Tatkraft um einen Punkt. Liegt der Punktewert am Ende des Szenarios bei 1 oder höher, ging die Geschichte gut für die Hauptfigur aus. Bei einem Wert von 0, niedriger geht es nicht, hält die Geschichte keinen guten Ausgang bereit …

Spielbericht

William Peabody, die Hauptfigur

William Peabody ist ein Bibliothekar mittleren Alters aus London und ein alter Freund von Lord Cunningham aus Derbyshire. Peabody hat Cunningham schon so manches okkulte Buch verkauft, glaubt selbst aber eigentlich nicht an Übernatürliches.

Das Szenario „Das Biest im Moor“

Es ist das Jahr 1907 und William Peabody hat sich aufgemacht, um seinem alten Freund während einer schweren Zeit beizustehen.

Entschlossenheit: 5, Tatkraft: 5

23.10.1907

Herz 5: Eine Nebenfigur wird verletzt.

Ich war gerade vor einer halben Stunde auf dem Anwesen meines alten Freundes in Derbyshire eingetroffen. Mrs Brittle, eine der Hausangestellten, hatte mich freundlicherweise eingelassen und mir mein Zimmer für die kommende Woche gezeigt. Ich machte mir große Sorgen um den Lord, dem ich in einer schweren Zeit beistehen wollte. Kaum hatte ich meinen Koffer am Fußende des Bettes abgestellt, hörte ich von außerhalb meines Zimmers einen lauten Schrei! Ich stürmte auf den Flur des alten Herrenhauses und wurde Zeuge, wie eine junge Frau von vielleicht 20 Jahren zu Boden stürzte und sich das rechte Handgelenk verletzte. Ich lief zu ihr und half ihr vorsichtig auf. Ihre Dienstmädchenuniform wies sie sogleich als eine weitere Hausangestellte aus. Die junge Frau stammelte etwas von „Unheil im Moor …“ und lief dann den Gang hinunter, um hinter der Ecke zur Treppe zu verschwinden.
Treppenhaus

Pik 7: Du entdeckst einen kleinen Hinweis

Gedankenversunken stand ich nun allein in dem düsteren Flur, als ich erneut ein ungewöhnliches Geräusch vernahm, dieses Mal von außerhalb des Herrensitzes. Ich konnte das Geräusch zunächst nicht identifizieren, dazu klang es zu bizarr. Es hatte wie das Jaulen eines Wolfes geklungen, aber sehr viel tiefer und auf seltsame Weise verzerrt. Ich erinnerte mich an die Worte des Dienstmädchens und erschauderte unwillkürlich – hatte ich das „Unheil im Moor“ vernommen? Ich schalt mich einen Narren und begab mich zu Lord Cunninghams Kaminzimmer, um ihn zu begrüßen und den Rest des Tages mit ihm zu verbringen. Wir hatten uns viel zu erzählen.

24.10.1907

Karo 7: Die Umgebung behindert dich – W10: 4, Misserfolg

Neblige Landschaft
Ich ging am kommenden Morgen, noch in meinem Nachtgewand, zum Fenster meines Zimmers und zog die schweren Vorhänge zurück. Anstelle des Gartens hinter dem Haus sah ich allerdings – nichts. Ein gräulicher Nebel, dicht wie Eintopf, hatte sich über die Landschaft gelegt und schränkte stark die Sicht ein. Nur wenige Schritte weit konnte ich blicken, das Moor im Hintergrund war nicht zu erkennen. Etwas irritiert kleidete ich mich an.

Pik 4: Du entdeckst einen kleinen Hinweis

Ich war zwiegespalten. Einerseits war mir etwas mulmig zumute, andererseits war meine Neugierde geweckt, die befriedigt werden wollte. Auf dem Weg die Treppe hinab entschloss ich mich, meiner Neugierde nachzugeben und schlich leise durch die Vordertür aus dem Haus. Vorsichtig und langsam umrundete ich das doch formidable Gebäude und erreichte wohlbehalten dessen Rückseite. Als ich mich in Richtung des Moores vortastete, machte ich alsbald eine grausige Entdeckung: Halb im Nebel verborgen, sah ich einen großen, blutüberströmten Körper im feuchten Gras liegen. Für einen Menschen war die Gestalt viel zu groß und als ich näher heranging, erkannte ich, dass ich ein bestialisch zugerichtetes totes Pferd vor mir hatte. Es war ein schrecklicher Anblick, die gesamte linke Körperhälfte des armen Tieres war der Länge nach aufgerissen worden und eine umfangreiche Blutlache hatte sich auf dem Boden gebildet.

Ich berichtete Lord Cunningham von meiner Entdeckung, die ihn sehr schockierte. Etwas später zog ich mich für die Nacht zurück.

25.10.1907

Karo 5: Die Umgebung behindert dich – W10: 5, Erfolg

Noch vor dem Frühstück kehrte ich zur Rückseite des Hauses zurück. Ich musste feststellen, dass der Kadaver nicht mehr aufzufinden war… Ich fand lediglich niedergedrücktes, feuchtes Gras vor. Ich bin mir nicht mehr sicher, wie lange ich dort sinnierend verbrachte, wurde aber durch ein seltsames Geräusch aus meinen Gedanken gerissen … Ich hielt es zunächst für den Wind in den Bäumen, bei längerem Lauschen erkannte ich jedoch, dass es geflüsterte Worte waren … kaum zu verstehen, war ich mir jedoch sicher, folgenden Satz vernommen zu haben: „Halte dich vom Moor fern, nichts Gutes kommt von dort …“

Herz 4: Eine Nebenfigur wird verletzt

Verstört kehrte ich zum Herrenhaus zurück, wo ich gemeinsam mit Lord Cunningham das Frühstück einnahm. Es wurde, wie die Tage zuvor, vom Butler des Hauses serviert, einem gewissen Mister Douglas. Er hatte für einen Butler eine ungewöhnlich muskulöse Statur und ginge vermutlich aus den meisten Faustkämpfen als Sieger hervor. Ich erhielt während des Frühstücks den Eindruck, dass Mister Douglas nicht gerade sehr motiviert wirkte, ganz im Gegenteil. Er schien nur die Dinge zu erledigen, die absolut notwendig waren – und nicht mehr. Ein seltsamer Bursche.

Lord Cunningham schien dies alles nicht zu betreffen, er führte sich das Porridge, fast schon mechanisch, mit einem silbernen Löffel zu. Gegen Ende der Mahlzeit, die in Stille vonstattenging, ertönte plötzlich ein Schrei aus dem hinteren Teil des Hauses! Ich sprang auf und stürmte zur Tür. Als ich den dunklen Flur betrat, vernahm ich einen weiteren Schrei und wandte mich nach links, in Richtung der Küche. Dort präsentierte sich mir ein schrecklicher Anblick: Das Dienstmädchen, das ich an meinem ersten Tag vor Ort bereits kurz kennengelernt hatte, lag auf dem Boden vor dem großen Küchentisch, ihre Dienstkleidung war an der rechten Hüfte dunkel gefärbt und in Teilen zerrissen. Ich lief auf die bedauernswerte Person zu, als ich aus dem Augenwinkel einer Bewegung gewahr wurde. Ich glaubte einen riesenhaften Schemen in Richtung Moor springen zu sehen! Da ich mich jedoch um die verletzte junge Frau kümmern musste, schob ich meine erschrockenen Gedanken beiseite.

Ich untersuchte das Dienstmädchen auf laienhafte Weise, war mir jedoch relativ sicher, dass sie nicht schwer verletzt war. Ich konnte die Wunde nicht eindeutig zuordnen, eines war für mich allerdings sicher: eine Schnittwunde war es nicht, die Wundränder sahen eher ausgefranst aus …

Inzwischen hatte sich der Butler des Hauses auch in der Küche eingefunden und zeigte sich plötzlich sehr motiviert und mitfühlend. Die junge Frau, ihr Name war Miss Enfield, wie ich erfuhr, schien ihm weitaus mehr am Herzen zu liegen als sein Dienstgeber. Wir versorgten gemeinsam ihre Wunde und ich informierte Lord Cunningham über die Geschehnisse. Erneut zeigte er sich sehr besorgt und begann vor sich hin zu murmeln. Die Angelegenheit beschäftigte ihn gedanklich so sehr, dass kein weiteres Gespräch möglich war. Daraufhin zog ich mich für die Nacht zurück.

26.10.1907

Kreuz 4: Eine Nebenfigur behindert – W10: 7, Erfolg

Noch vor dem Frühstück erkundigte ich mich nach Miss Enfields Zustand. Sie schien sich bereits etwas zu erholen, ruhte sich jedoch fürs Erste in ihrer Kammer aus. Ich befragte sie ergebnislos zu den gestrigen Ereignissen, an die sie sich nur noch schemenhaft erinnern konnte. Wie sie sich ihre Verletzung an der Hüfte zugezogen hatte, war auch ihr ein Rätsel … Als ich Miss Enfield eröffnete, dass ich weitere Untersuchungen anstellen wollte, schrak sie zusammen und bat mich inständig, davon abzusehen! „Sir, hier sind Mächte am Werk, die größer und stärker als wir Menschen sind … bitte, gehen Sie nicht aus dem Haus! Das Moor bringt nur Unheil!“ Ich schenkte ihr mein aufmunterndstes Lächeln und versicherte ihr, dass mir schon nichts passieren würde.

Herz Dame: Du wirst Zeuge, wie sich die feurigen Augen einer Kreatur im Dunkel durch das Moor bewegen – Schwierigkeit ab jetzt +1

Ich verließ das Herrenhaus, mit einem großen Messer bewaffnet, und besah mir die Rückseite, wo die Küche mit ihrem Hintereingang lag. Seltsamerweise konnte ich keinerlei Spuren an der Tür selbst oder den Fenstern entdecken – wie hatte sich der Angreifer Zugang verschafft? Als ich meine Untersuchungen in Richtung des Moores ausdehnte, bemerkte ich jedoch Spuren anderer Art: Im weichen, feuchten Boden gab es riesenhafte Abdrücke von … einem Tier? Die Spuren führten direkt ins Moor, in das ich mich selbst nicht zu gehen wagte. Ich besah mir die Umgebung noch einmal und kehrte dann zum Herrenhaus zurück.
Hintertür eines alten, bewachsenen Hauses

Ich verbrachte den Rest des Tages mit Lord Cunningham in seinem Kaminzimmer, wo ich mehr über die Geschehnisse zu erfahren hoffte. Mir wurde jedoch erneut schnell klar, dass der Geist meines alten Freundes stark angegriffen war und der Lord teilweise Anzeichen von Delir zeigte. Er stammelte so manches Mal bizarren Unsinn, den ich nicht glauben konnte. Am späten Abend wünschte ich dem Lord gute Nacht und versicherte mich, dass Mrs Bristle über ihren Dienstherren wachen würde. Zu verwirrt schien er mir, als das ich mir keine Sorgen machte.

Ich zog in meinem Zimmer gerade die schweren Vorhänge zu, als ich im nebelverhangenen Dunkel beim Moor etwas zu sehen glaubte, was mir den Atem stocken ließ! Für einen Moment glaubte ich zwei dunkel-orange glühende Augen zu sehen, die sich am Rande des Moores bewegten … Im nächsten Moment war die Erscheinung auch schon wieder verschwunden und ich blinzelte einige Male verwirrt. Wie sehr ich den Nebel hinter dem Haus auch mit Blicken absuchte, ich konnte nichts Außergewöhnliches mehr erkennen. Aus hoffentlich nachvollziehbaren Gründen wagte ich mich nicht nachts ins Moor … Von sorgenvollen Gedanken geplagt, versuchte ich zur Ruhe zu kommen, was mir in dieser Nacht für eine lange Zeit nicht gelang.

27.10.1907

Herz 6: Eine Nebenfigur wird verletzt

Das Frühstück an diesem Morgen war von einer bedrückenden Stille geprägt, die sich wie eine schwere Decke über mein Gemüt legte. Zwischenzeitlich murmelte Lord Cunningham einige unverständliche Worte. Ich wurde allerdings erneut durch einen Schrei aus meinen brütenden Gedanken gerissen! Ich lief zum Treppenabsatz an der Vorderseite des Hauses und sah, wie sich die beiden Dienstmädchen auf der Türschwelle um den anscheinend verletzten Butler sorgten. Ich sprang die Treppe hinunter und eilte zum Ort des Geschehens, wo ich bemerkte, dass besonders Miss Enfield sich aufopfernd um den Butler kümmerte. Er war offensichtlich an der Schulter verletzt, sein Anzug auf geradezu bestialische Weise in Fetzen gerissen worden. Eine Blutlache begann sich bereits auf der Türschwelle auszubreiten und ich trat noch einen Schritt näher. Der Anblick der Wunde war grauenvoll, die Ränder grob zerrissen. Mrs Bristle hatte sich inzwischen etwas gefangen und gebot uns, Mister Douglas vorsichtig in die Küche zu bringen, wo wir ihn auf den großen Küchentisch legten und seine Wunde notdürftig versorgten. Mrs Bristle teilte uns mit, dass sie sich sogleich aufmachen würde, den Hausarzt des Lords herbeizuholen. Ich wollte ihr davon abraten, das Herrenhaus zu verlassen, die Schwere der Situation ließ mich allerdings stumm bleiben. Mrs Bristle schien meinen Zwiespalt zu bemerken und versuchte mich zu beruhigen. Sie kenne den Weg genau, der nicht am Moor vorbeiführe.

Karo 4: Die Umgebung behindert – W10: Misserfolg

Wir hofften alle inständig, dass der Doktor schnell beigebracht werden konnte. Miss Enfield wich nicht von der Seite des Butlers und dadurch wurde auch mir schließlich klar, dass es sich bei den beiden um ein Liebespaar handeln musste. Nach kurzer Zeit erschien Mrs Bristle wieder in der Küche und machte einen äußerst verzweifelten Eindruck. Sie teilte uns mit, dass sie den Weg außerhalb des Anwesens nicht finden konnte! Es war plötzlich so dichter Nebel aufgekommen, dass sie keinen Meter weit hatte blicken können. Ich schaute aus dem Küchenfenster und konnte Mrs Bristles Aussage bestätigen: Eine dunkelgraue Decke aus Nebel hatte sich über die Landschaft gelegt.

Wir stabilisierten Mister Douglas also so gut es uns möglich war und begaben uns zu Bett. Niemand von uns schlief ruhig oder ausgiebig.

28.10.1907

Herz 7: Eine Nebenfigur wird verletzt

Am nächsten Morgen machte sich Mrs Bristle trotz des Nebels erneut auf den Weg zum Doktor. Sie war sichtlich mitgenommen, fasste sich jedoch ein Herz. Ich versuchte sie davon abzubringen und und bot an, mich an der Aufgabe zu versuchen – doch davon wollte sie nichts hören. Ihrer Ansicht nach sollte ich im Herrenhaus verbleiben, um die Bewohner im Notfalle zu verteidigen. Dazu machte sie mir ein Gewehr und Munition zugänglich und riet mir, mich auch mit einer Stichwaffe auszurüsten.

Neblige Landschaft

Mrs Bristle verließ also das Grundstück, ich folgte dem leicht schwankenden Leuchten ihrer Laterne noch kurze Zeit mit meinem Blick. Kaum wollte ich mich umwenden, um mich zu Lord Cunningham zu begeben, als das Leuchten der Laterne viel zu abrupt verschwand! Ob ich fast im gleichen Moment auch einen großen, dunklen Schatten im Nebel gesehen hatte, vermag ich nicht mehr mit Sicherheit zu sagen. Ich ahnte Schreckliches und lief, trotz der imminenten Gefahr, in Richtung der Stelle, wo ich Mrs Bristle vermutete. Am ungefähren Ort angekommen, machte ich eine weitere schlimme Entdeckung: Ich fand die Frau am Boden liegend vor, sie rührte sich nicht. Ihre Laterne lag zermalmt neben ihr auf dem nassen Boden. Während einer flüchtigen Untersuchung fand ich an ihrem Bein Kratzspuren, die drei dünne Rinnsale ihre linke Wade hatten hinunterlaufen lassen. Die Verletzung schien nicht sehr gefährlich zu sein, deshalb verband ich sie notdürftig mit einem Taschentuch und versuchte erneut, Mrs Bristle zu einem Lebenszeichen zu bewegen. Sie atmete, war jedoch anscheinend einer tiefen Bewusstlosigkeit anheimgefallen. Kurzentschlossen hob ich sie hoch und trug sie mit einiger Mühe zur Küche des Herrenhauses zurück, die sich mit immer mehr Verletzten füllte …

Kreuz 6: Eine Nebenfigur behindert – W10: 10, Erfolg

Ich fand zu meiner Überraschung auch Lord Cunningham dort vor. Er stand über Mister Douglas gebeugt und Geifer sprühte aus seinem Mund, während er den verletzten Butler anschrie. Miss Enfield versuchte sich schützend vor ihren Liebsten zu stellen, hatte dem Lord allerdings kaum etwas entgegenzubringen. Ich konnte nicht jedes der geschrienen Worte verstehen, der eine oder andere Begriff war jedoch zu vernehmen: „Unheil“, „das Böse“ und „verflucht“. In der Hand des Hausherren blitzte plötzlich eine lange Klinge auf, die er in einer halbkreisförmigen Bewegung über den Kopf hob – er wollte den Butler endgültig zu Tode bringen! Ein Schrei entwich meiner Kehle, als ich auf den nun offensichtlich wahnsinnigen Mann losstürmte und ihn mit Wucht zu Boden warf. Ich entwand ihm das Messer und tat das Einzige, was mir in diesem Moment größter Not in den Sinn kam: Ich schlug den Lord mit meiner Faust bewusstlos.

Danach brachte ich ihn in sein Schlafzimmer und legte ihn auf sein Bett. Da ich sichergehen wollte, dass er nicht erneut versuchen würde, jemanden umzubringen, riss ich die Kordeln der schweren Fenstervorhänge herunter und fesselte den Lord an die dicken Bettpfosten. Mrs Bristle war überraschend dazugekommen und bot sich an, die Nachtwache bei ihrem Dienstherren zu übernehmen. Trotz der Geschehnisse und ihrer Verletzungen verhielt sich sich bewundernswert loyal. Ich begab mich noch kurz in die Küche, um nach Miss Enfield und Mister Douglas zu schauen, die versorgt schienen. Mehr konnte niemand von uns tun, der unnatürliche Nebel hielt uns weiterhin gefangen.

29.10.1907

Pik Dame: Lord Cunningham ist nirgends zu finden. Man sagt, dass er in den Wald gelaufen sei – Schwierigkeit ab jetzt +2

An diesem Morgen schaute ich erneut nach dem Zustand von Mister Douglas, der weiterhin leidlich stabil wirkte. Als ich daraufhin das Schlafzimmer des Lords betrat, erlebte ich jedoch eine böse Überraschung: Mrs Bristle hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf und das Bett des Hausherren war leer! Ich schloss kurz die Augen, um mich zu sammeln, und wandte mich dann Mrs Bristle zu. Sie erklärte mir stöhnend, dass sie die Nacht über am Bett des Lords verbracht und dann plötzlich einen kurzen, starken Schmerz gespürt hatte. Sie musste für eine gewisse Zeit bewusstlos gewesen sein und als sie wieder zu sich kam, fand sie das Bett leer vor. Sie wandte ihren Kopf langsam in Richtung Fenster und flüsterte dann, kaum vernehmbar: „Ich glaube, der Lord ist ins Moor gelaufen.“

Pik 5: Du entdeckst einen kleinen Hinweis

Kaum hatte Mrs Bristle zu Ende gesprochen, ertönte aus dem Moor ein unheimliches Heulen! Ich stürmte zum Fenster, konnte allerdings immer noch nichts erkennen. Ich versuchte den Rest des Tages über, genügend Mut zu sammeln, um dem Lord zu Hilfe zu eilen. DIe Angst war jedoch zu groß.

30.10.1907

Karo 6: Die Umgebung behindert – W10: 1, Misserfolg

Neblige Landschaft mit schemenhafter Person

Erschöpft und völlig übermüdet entschloss ich mich heute Morgen doch zum Aufbruch. Mrs Bristle sollte sich um die restlichen Angestellten kümmern und ich würde mich auf den Weg in den Nebel machen, um die Leiche des Lords zu bergen – am Leben würde er zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich nicht mehr sein. Selbsthass und Gewissensbisse nagten an mir, weil ich am Vortag nicht sofort den nötigen Mut aufgebracht hatte. Ich rüstete mich also mit Laterne, Gewehr und Munition aus und verließ das Haus in Richtung Moor.

Mit verbissener, wenngleich auch schwankender, Entschlossenheit aufgebrochen, musste ich schon nach kurzer Zeit feststellen, dass ich mich im Nebel verlaufen hatte. Mit wachsender Unruhe und vorausgehaltener Laterne versuchte ich, meinen Weg zu finden, und damit hoffentlich auch den Lord.

Kreuz 5: Eine Nebenfigur behindert – W10: 8, Erfolg

Nach einer für mich nicht messbaren Zeitspanne glaubte ich im trüben Nebel eine Bewegung zu erkennen. Ich umfasste das Gewehr noch fester und rief, wer da sei. Ich erhielt keine verbale Antwort, jedoch sprang plötzlich eine menschliche Gestalt aus dem Nebel auf mich zu! Bevor ich in irgendeiner Weise reagieren konnte, schnellte bereits ein großes Messer in meine Richtung, als sei es der Kopf einer angreifenden Schlange! Ich drückte instinktiv den Abzug des Gewehres und ein Schuss löste sich. Wie durch ein Wunder traf die Kugel die Schneide des Messers, das vom Aufprall davongeschleudert wurde! Meine Erleichterung dauerte nur kurz, denn gleich darauf traf mich der Körper des Lords mit voller Wucht und wir gingen beide zu Boden.

31.10.1907

Pik 6: Du entdeckst einen kleinen Hinweis

Ich weiß nicht mehr, wie lange der Lord und ich um die Oberhand rangen. Es gelang mir jedoch erneut, den Wahnsinnigen bewusstlos zu schlagen. Keuchend lag ich neben ihm im Gras und wurde schließlich selbst vor Erschöpfung bewusstlos. Bevor mich das Dunkel umschlang, hörte ich noch ein weit entferntes Heulen.

Kreuz 7: Eine Nebenfigur behindert – W10: 5, Misserfolg

Als ich wieder zu mir kam, fühlte ich mich wie erschlagen und kraftlos. Ich richtete mich auf und und vernahm einige gemurmelte Worte: „Soll Peabody das Biest für eine Weile befriedigen, dann wird es uns in Ruhe lassen! Vielleicht für immer, hahahahah!“ Der Lord wollte mich der unheimlichen Kreatur im Moor opfern! Ich wollte dem Freundesverräter hinterhereilen, meine Kraftlosigkeit hinderte mich jedoch daran.

Ich war allein im Moor.

Endstand der Attribute: Entschlossenheit: 5, Tatkraft: 1

Kreuz Dame: Ein schwarzes Biest mit großen, unheimlichen Augen tritt dir im Moor gegenüber

Ich versuchte mich nach einer Weile erneut aufzuraffen, es gelang mir jedoch nicht. So lag ich hilflos auf dem feuchten Boden und sammelte meine Kräfte, um hoffentlich doch irgendwann aus diesem verfluchten Moor zu entkommen. Ich malte mir bereits mein düsteres und gewaltsames Ende aus, als ich in einiger Entfernung etwas gewahr wurde. Ich sah die Kreatur zunächst weniger, als dass ich sie spürte. Jeder ihrer kraftvollen Schritte ließ den Boden leicht vibrieren – das Biest musste wahrlich monströs sein! Immer näher kamen die Erschütterungen und ich glaubte bald auch ihre kohlenartig leuchtenden Augen sehen zu können. Todesangst und Panik ergriffen von mir Besitz und ich begann zu schreien. Plötzlich wandte sich das Biest jedoch um, als hätte es etwas gehört. Mit gewaltigen Sprüngen verschwand es im Nebel und mein Schreien verstummte. Kurze Zeit später hörte ich allerdings das Schreien einer anderen Person, es war der Lord. Das Schreien endete gleich darauf abrupt und ich nahm meine letzten Kräfte zusammen, um so schnell wie möglich von der Stätte des Grauens davonzukriechen.

Kaum hatte ich wenige Meter in eine wahllose Richtung hinter mich gebracht, bemerkte ich, dass der Nebel sich zu lichten begann … Nach einer gefühlten Ewigkeit fand ich den Weg zurück zum Herrenhaus und schleppte mich zur Hintertür, wo ich bewusstlos zusammenbrach.

Das Biest aus dem Moor hatte sich den Lord geholt.

Neblige Landschaft

Fazit

Mir hat das Spiel richtig viel Spaß gemacht. Durch das im Jahr 1907 angesiedelte Szenario konnte ich meinen teils etwas antiquierten Schreibstil pflegen und hatte genügend Impulse durch das Spiel, um kreativ zu werden. Ich war einige Stunden lang angenehm beschäftigt, in denen ich bei gruseliger Musik das Schicksal meiner Hauptfigur handschriftlich niederlegte.

Mich fasziniert bei Gruselspielen immer wieder der Aspekt der Isolation. Die Figuren sind von der Umwelt abgeschnitten und sehen sich schlimmer Opposition gegenüber – und wenn es ihre eigenen Abgründe sind. Im gespielten Szenario geht es auch um Isolation, der Handlungsort ist ein altes Herrenhaus in der Nähe eines Moors, die Figuren werden vom plötzlich auftretenden Nebel gefangen gehalten. Eine perfekte Kulisse für mich.

Die Regeln erlauben es ja, Entschlossenheit aufzuwenden, um den Erfolg einer Handlung wahrscheinlicher zu machen. Das habe ich absichtlich nicht getan. Ich spiele ganz gern entsprechende Spiele, um zu verlieren, und wollte es auch ein bisschen herausfordern. Dass am Ende noch Tatkraft übrig blieb und die Hauptfigur deshalb mit leidlich heiler Haut davonkommen konnte, war dann eben so. Das hat mir den Spielspaß aber in keinster Weise getrübt.

English Eerie erinnerte mich ein wenig an Quill beziehungsweise dessen Genreband Schatten und Tinte. Das ist insofern logisch, als dass Scott Malthouse selbstEnglish Eerie als eine Art Nachfolger bezeichnet. Die Regeln sind definitiv leichter und es freut mich, dass es eine SL-lose „Lagerfeuervariante“ gibt, die das Spielen mit mehreren Leuten ermöglicht: Jede teilnehmende Person zieht eine Karte und erzählt entsprechend eine Szene lang, was in der Geschichte passiert. Dadurch bekommt English Eerie den Flair von Spielen wie Geh nicht in den Winterwald, was ich mir gut vorstellen kann – sowohl offline als auch online.

Wer Interesse an Solotagebuchspielen und dunkler Phantastik hat, sollte sich English Eerie ruhig mal anschauen. Da Scott Malthouse die PDF-Versionen seiner Spiele meist mit Bezahl-was-du-willst-Preisen versieht, gibt es kein Risiko – aber doch die Möglichkeit, dem Autor einen Betrag zukommen zu lassen, wenn das Spiel gefällt.

Bildnachweis & Mitwirkende

Fotos von Unsplash, ausgewählt von Thorsten Panknin, bearbeitet von Tina Trillitzsch und Thorsten Panknin. Korrektorat Tina Trillitzsch.

comments powered by Disqus
Alle Ausgaben  >  Ausgabe 004  >  Spielbericht: English Eerie – „Das Biest im Moor“