Vom Regelfuchs zum Erzählbär: Ein Entwicklungsprozess
Patrick Spelsberg berichtet über die Veränderung seines Spielstils.
842 Wörter, ungefähre Lesedauer 4 Min.
Inhalt
Seit gut sieben Jahren spiele ich Pen-&-Paper. Im wahren Leben Geschäftsführer, reizt es mich, abseits von Verantwortung und Planung im Geschäftsleben, in der Freizeit einen Helden zu mimen. Auch wenn in der privaten Runde ab und zu ein Held hinzukam oder verloren ging, blieb die Runde sich treu. Bei uns wurden über Jahre hinweg sehr regellastige und ausgearbeitete Systeme wie z. B. Shadowrun, Das Schwarze Auge oder Pathfinder gespielt. Eines Tages las ich im Internet etwas über narrative Rollenspiele quasi ohne bzw. mit kaum vorhandenen Regeln. Da ich, oft zum Leidwesen meiner „Mithelden“, eine sehr experimentierfreudige und extrovertierte Persönlichkeit vorweise, wurden sie quasi von mir genötigt, ein solches Rollenspiel zu testen.
Erste Schritte mit Fate
Es wurde Fate, und zwar Turbo-Fate. Minimale Regeln, maximaler Spielspaß – dachte ich jedenfalls. Das Regelwerk sowie Charakterbögen etc. sind auf www.faterpg.de gratis zum Download bereitgestellt. Nach dem typischen Einheitsbrei der ersten Seiten folgte schnell die erste Verwirrung: Unter einem Charakterkonzept konnten wir uns noch einiges vorstellen – aber Aspekte? Die Beispiele waren zwar einleuchtend, aber selbst Aspekte entwickeln? Denn im Idealfall soll ein Aspekt einen Vorteil sowie einen Nachteil darstellen können. Soviel Freiheit in einem Pen-&-Paper war niemand von uns gewohnt.
Nach einiger Zeit waren dann doch, durch gemeinsames Teamwork, einige passende Aspekte für jeden Mitspieler gefunden und wir begannen das Spiel. Fate-Punkte erlauben z. B. das Wiederholen eines Würfelwurfs, ah, also ähnlich wie Schicksalspunkte (nahezu jedes klassische System benutzt schließlich so etwas). Dass diese einen begrenzten Vorrat hatten, war uns ebenfalls einleuchtend und nicht neu, aber durch das Ausspielen der Negativseiten unseres geliebten Charakters zusätzliche Punkte erhalten? Das wurde für den ein oder anderen zu einer großen Herausforderung.
Eine viel größere Zerreißprobe stellten jedoch die kaum vorhandenen Definitionen von Regeln dar. Je nach Setting und System waren wir es gewohnt, das meist neben ein bis zwei Spielern permanent ein Grundregelwerk griffbereit offenlag und wir nachschauten, wie weit der Feuerball fliegt oder wie lange das Nachladen der Armbrust dauert. Und wo ich beim Thema Ausrüstung und Fähigkeiten bin – keinerlei Informationen über Manakosten, Schaden, Ausweichmanöver oder ähnliches. Wir wussten, es ist ein narratives System, aber so etwas kam uns dann doch spanisch vor.
Wir blieben dran
An dieser Stelle könnte man damit rechnen, wir hätten als alteingesessene Pen-&-Paper-Helden das narrativfokussierte Spielen an den Nagel gehängt und die alten Systeme wieder ausgegraben. Doch bin ich grundsätzlich zwar ein freundlicher, jedoch auch etwas nervtötender Mensch und ich beharrte darauf, dass „wir etwas falsch gemacht haben mussten”. Nach unzähligen weiteren Spielabenden, mal mit Lichtschwert mal mit Steinzeitkeule, sind wir grundsätzlich begeistert vom narrativen Spiel, jedoch hängt es auch hier vom System ab.
Für viele der „alten Hasen“ stellte die Umstellung von einem stark regelbasierten System auf ein regelleichtes System ein großes Hindernis dar. Erfahrungsgemäß tun sich Pen-&-Paper-Neulinge mit regelarmen Systemen erheblich leichter. Gerade bei Fate mussten wir dies feststellen. Fate hat unglaublich schöne und mitreißende Settings und ich kann jedem nur empfehlen, einige davon einmal auszuprobieren.
Aber wie kann man also den Regelfuchsern den Einstieg erleichtern, sodass auch diese in den Genuss eines schnellen Spiels und einer bildhaften Welt kommen? Das soll natürlich nicht heißen, dass sich bei Regelfuchsern kein Kopfkino abspielt, doch bleibt natürlich beim Auslegen der verschiedensten Regeln weniger Zeit für die bewegten Bilder im Kopf.
Tipps für Spielleiter
Wir haben einmal einige Tipps unsererseits zusammengetragen, um den Einstieg zu erleichtern.
Erstens: Benutzt anfangs Systeme, die noch ein gewisses Grundmaß an klassischen Regeln vorweisen. Zum Beispiel minimald6 von Norbert G. Matausch. Wem das auch schon zu wenig Regeln vorweist, kann alternativ mit „Bier und Brezel“-Pen-&-Papern (Ratten! oder Das Land OG) starten.
Zweitens: Spielt mindestens dreimal mit dem System. Die reduzierten bzw. sporadisch vorhandenen Regel gehen nach und nach ins Blut über.
Drittens: Beschreibt auch Kampfszenen detaillierter und blumiger. Statt „Ich schlage mit meinem Schwert.“, versucht es mal mit „Mit einem gekonnten Aufwärtshieb dränge ich meinen Kontrahenten ein Stück zurück und versuche ihn in die Defensive zu bringen!” – vielleicht nicht perfekt, aber ich denke, es sollte klar geworden sein, was ich meine.
Viertens: Helft eurem Spielleiter. Auch für ihn ist es meist eine gänzlich neue Erfahrung, unterstützt ihn, wo ihr nur könnt. Klärt jedoch vorher ab, wie viel „Macht“ er bereit ist abzugeben. Er kann euch zum Beispiel gestatten, Gegenstände in einem Raum vorauszusetzen (solange es halbwegs realistisch ist). So müsst ihr nicht extra fragen: „Steht da eine Flasche auf einem Tisch?“, sondern könnt direkt agieren mit „Ich nehme eine leere Weinflasche von dem Tisch neben mir und ziehe sie dem Krawallmacher direkt über den Schädel!“
Fünftens: Zum Abschluss ein besonderer Tipp für unsere Spielleiterkollegen. Bereitet auch hier Gegner gerade am Anfang akribisch vor. Nichts ist frustrierender als ein Endgegner, der euch nicht würdig ist oder ein Endgegner, der jeden Helden binnen ein bis zwei Runden aus den Socken haut. Da beides bei uns des Öfteren vorkam, kann ich nur nochmals darauf hinweisen.
Fazit
Am Ende bleibt nur zu sagen: Spielt und wagt euch an die neuen Herausforderungen – es lohnt sich!
Bildnachweis
Coverbild gestaltet von Peter Kastberger.